Architekturpsychologie in der Innenstadtentwicklung: Räumlichkeiten wie die Wilhelminenpassage Darmstadt laden zum Verweilen ein

Die Qualität eines Stadtraums bemisst sich nicht allein an seiner Funktionalität oder architektonischen Eleganz, sondern zunehmend an seiner Fähigkeit, auch emotional zu berühren. Im Zentrum dieser Entwicklung steht die Architekturpsychologie – ein interdisziplinäres Feld, das untersucht, wie gebaute Umgebungen auf das menschliche Verhalten und Erleben wirken. Besonders die Innenstadtentwicklung steht dabei vor der Herausforderung, Aufenthaltsqualität nicht nur zu planen, sondern zu ermöglichen. Es geht darum, Orte zu schaffen, die nicht nur passieren, sondern erleben lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist die von der DCE Real Estate revitalisierte Wilhelminenpassage Darmstadt.

Die Evolution der Innenstädte: Von Zweck zu Erlebnis

Wer einen Blick auf die Stadtplanung der 1950er bis 1970er Jahre wirft, erkennt eine funktionalistische Prägung. Nachkriegsstädte wurden zügig wiederaufgebaut, oft unter Vernachlässigung menschlicher Maßstäbe. Innenstädte wurden durch breite Verkehrsachsen zerschnitten, Plätze betoniert, Einkaufszonen als monotone Fußgängerstraßen geplant. Die Devise lautete Effizienz – im Bau ebenso wie im Verkehr. Erst mit der wachsenden Kritik an der Entfremdung im urbanen Raum rückten in den 1980er- und 1990er-Jahren Konzepte wie die „menschengerechte Stadt“ in den Fokus. Der Architekt und Stadtforscher Jan Gehl prägte den Begriff des „lebensfreundlichen Stadtraums“ – ein Raum, der soziale Interaktion ermöglicht, Bewegung fördert und das Gefühl von Sicherheit stärkt. Die Erkenntnis: Der Stadtraum wirkt auf das psychische Erleben und dieses entscheidet über Verweildauer, Nutzungshäufigkeit und emotionale Bindung.

Moderne Innenstadtentwicklung nutzt Erkenntnisse der Architekturpsychologie, um Orte mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen. Zentrale Parameter sind dabei:

1. Orientierung und Raumstruktur:

Menschen fühlen sich in klar strukturierten, visuell lesbaren Räumen wohler. Wegeführungen sollten intuitiv sein, Sichtachsen Orientierung bieten. Verwirrende Labyrinthe oder abgeschottete Bereiche erzeugen Unsicherheit und wirken abschreckend.

2. Maßstäblichkeit und Proportion:

Räume wirken dann einladend, wenn sie menschlichen Maßstäben entsprechen. Überdimensionierte Plätze oder Gebäudefronten wirken distanziert, während gegliederte Fassaden, Durchgänge und Nischen Nähe und Geborgenheit schaffen.

3. Aufenthaltsqualität durch Materialität und Gestaltung:

Natürliche Materialien wie Holz, Stein oder Wasser wirken beruhigend. Grünflächen, Sitzmöglichkeiten, beschattete Zonen und differenzierte Lichtführung fördern das Verweilen.

4. Nutzungsmischung und soziale Vielfalt:

Orte mit unterschiedlicher Nutzung – Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Gastronomie – erzeugen ein dauerhaftes Grundrauschen. Die soziale Mischung stärkt das Sicherheitsgefühl und belebt den Raum auch außerhalb von Bürozeiten.

5. Licht und Atmosphäre:

Tageslichtführung und gezielte künstliche Beleuchtung tragen maßgeblich zur Wahrnehmung eines Ortes bei. Helle, offene Räume mit wechselnden Lichtstimmungen fördern positive Emotionen und verlängern die Aufenthaltsdauer.

Begegnungsorte im urbanen Raum

In der Innenstadtentwicklung kommt der Gestaltung von Laufwegen eine besondere Bedeutung zu. Architekturpsychologisch betrachtet sind es nicht die kürzesten, sondern die „interessantesten“ Wege, die Menschen wählen – Pfade, die visuelle Reize bieten, kleine Entdeckungen ermöglichen, Übergänge zwischen Innen und Außen schaffen.

Ein Beispiel ist das sogenannte „Soft Edge“-Prinzip, das Übergangszonen zwischen privaten und öffentlichen Bereichen beschreibt: Arkaden, Sitznischen, bepflanzte Randbereiche. Sie laden ein, ohne zu verpflichten. Solche semi-öffentlichen Zonen senken die soziale Schwelle zur Nutzung und schaffen Ankerpunkte für zufällige Begegnungen.

Die Wilhelminenpassage Darmstadt: Psychologie trifft Praxis

Ein eindrucksvolles Beispiel für eine architekturpsychologisch durchdachte Innenstadtentwicklung ist die Wilhelminenpassage Darmstadt, realisiert durch DCE Real Estate unter Leitung von Dogan Gülsen. Die Wilhelminenpassage, vormals durch Leerstand und gestalterische Beliebigkeit geprägt, wurde zu einem Ort umgestaltet, der den Menschen ins Zentrum rückt. Die Gestaltung setzt gezielt auf visuelle Durchlässigkeit, großzügige Blickachsen und eine subtile Lichtführung. Unterschiedlich nutzbare Flächen – von Gastronomie über Einzelhandel bis hin zu Wohnraum – erzeugen einen lebendigen Rhythmus, der der Wilhelminenpassage auch außerhalb der Stoßzeiten ein Grundmaß an Belebung verleiht. Begrünte Innenhöfe, transparente Übergänge und gut einsehbare Laufwege erzeugen ein hohes Maß an sozialer Kontrolle und Sicherheit. Die psychologische Wirkung: Menschen fühlen sich eingeladen, verweilen länger, kehren häufiger zurück.

Architekturpsychologie als Leitdisziplin der Stadtentwicklung

Die Transformation von Innenstädten ist heute nicht mehr allein eine bauliche, sondern auch eine emotionale Aufgabe. Orte müssen nicht nur genutzt, sondern gemocht werden. Nur wenn ein Raum positive Emotionen wie Geborgenheit, Freude und Entspannung auslöst, wird er zum „Ort“ im eigentlichen Sinn: ein Ort mit Bedeutung. Die Architekturpsychologie zeigt dabei Wege auf, wie diese emotionale Bindung hergestellt werden kann. Statt reiner Funktionalität tritt eine Gestaltung, die Assoziationen zulässt, Identität stiftet und zum Innehalten anregt. Gute Stadtplanung entwirft damit nicht nur Infrastruktur, sondern Lebensqualität.

Die Frage, wie sich Menschen in urbanen Räumen wohlfühlen, ist keine bloße Geschmackssache. Sie ist messbar, gestaltbar und sie entscheidet mit darüber, wie lebendig, sicher und nachhaltig eine Innenstadt funktioniert. Während frühere Stadtplanung auf Trennung von Funktionen und maximale Effizienz setzte, führt heutige Innenstadtentwicklung durch psychologisch fundierte Raumgestaltung zu mehr Aufenthaltsqualität und urbanem Leben. Projekte wie die Wilhelminenpassage Darmstadt zeigen, wie aus vernachlässigten Orten durch bewusstes Gestalten Orte der Begegnung werden. Dabei ist die Architekturpsychologie kein Beiwerk, sondern Fundament einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung – eine Disziplin, die sich zunehmend als das zeigt, was sie ist: die menschliche Seele des Städtebaus.

Mehr Informationen über Dogan Gülsen

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